Top Secret
eine Männergruppe der ganz anderen Art
von Detlef Stüber,
genommen aus „Mensch und Sein“ Nr.8/01
Ich will weg, ich will weg. Wie bin ich eigentlich hier her gekommen. Hatte ich nicht die Nase voll gehabt von all dem Getue zwischen Männern und Frauen, dem Gerenne nach Zuwendung, Nähe, Zärtlichkeit und Sex? Ich wollte doch etwas für mich tun, Kraft tanken, unter Männern sein.
Und jetzt bin ich hier: „frauengruppe mit männern“ eine Frauengruppe.
„Ein Selbsterfahrungswochenende für ungebundene Frauen, die Lust haben das Geheimnis ihres Alleinseins und ihrer oft vergessenen Weiblichkeit zu ergründen. Für Frauen, die sich ein Wochenende lang von gruppenerfahrenen, ungebunden Männern verwöhnen lassen wollen.“
NEIN – was tu ich hier, ich brauche selbst etwas, ich will nehmen, nicht geben. JA – dies ist nicht meine erste Selbsterfahrungsgruppe, aber dieses Mal bin ich in die Falle gegangen. Hereingefallen auf den sogenannten guten Rat eines sogenannten guten Freundes: „Genau das richtige für dich, in deiner Situation. Eine der stärksten Männergruppen die ich kenne.“ Und jetzt sitz ich hier, zu früh angereist, im sonnendurchfluteten Garten von Burg Wahrberg, die sich wahrscheinlich gleich, vor meinen Augen in ein Bordell für frustrierte Frauen verwandeln wird, in dem ich den Callboy spiele.
Was erwartet mich? Was erwarte ich? Ich warte. Viel Zeit mir eine richtig schlechte Zeit zu machen. Reifen knirschen auf dem Kies der Auffahrt, Wagentüren schlagen. Ankommende Männer und Frauen füllen die Räume, Schlafplätze werden zugewiesen, Betten bezogen, Gepäck ausgepackt. Die Räume für uns Männer liegen weit ab der Frauenräume, auch einen eigenen kleinen Gruppenraum haben wir. Je mehr sich die Burg füllt, desto stärker ändert sich die Stimmung. Nervosität und Aufregung breiten sich auf dem ganzen Gelände aus. Niemand scheint zu wissen was auf uns zu kommt, und die, die schon zum wiederholten mal dabei sind schweigen.
Eine fast elektrische Spannung liegt in der Luft. Beim Abendessen an der langen Tafel im eindrucksvollen Rittersaal wird die Spannung fast unerträglich. Ich ertappe mich bei albernen Späßen und flachen Witzen. Den anderen muß es ähnlich gehen. Kurze abschätzende Blicke fliegen hin und her. Ich taxiere vorsichtig Männer wie Frauen.
Wir sind 12 Männer und genauso viele Frauen. Es gehört zum Konzept der Gruppe, daß nur so viele Männer zugelassen werden, wie sich Frauen angemeldet haben. Alterspektrum: Ende zwanzig bis Mitte fünfzig. Ich versuche meinen Marktwert zu veranschlagen und tippe auf untere Mittelklasse. Ein paar der Männer steck ich in die Tasche, aber natürlich sind auch ein paar dieser waschbrettbäuchigen, gut aussehenden Frauenabräumer dabei, die ich schon in der Tanzstunde nicht riechen konnte. Von den Frauen interessiert mich natürlich eigentlich keine. Eigentlich, bis auf die Blonde, ziemlich jung, gute Figur und die etwas ältere Glutäugige mit dem wohlgeformten H…Herzen. Aber, wie es der Zufall will, plaudern beide bereits angeregt mit einem Mann (obere Mittelklasse), der offensichtlich nicht das erste Mal hier ist. Peinlich wie der seinen Heimvorteil ausnützt.
An einem kleineren Tisch etwas abseits, sitzen Coco Heinrichs und Christoph Swoboda, die die Gruppe leiten, zusammen mit ihrem Team. Ab und zu lassen sie ihren Blick über uns schweifen, nehmen die Stimmung auf, schmieden irgendwelche Pläne und hin und wieder wird gelacht. Christoph begrüßt alle recht freundlich, um uns dann darauf hinzuweisen, daß an diesem Wochenende ausschließlich die Männer Tischdecken, Tischabräumen und den Dienst an der Spülmaschine übernehmen. Jetzt lachen die Frauen. Das kann ja heiter werden.
Es geht los. Die Gruppe wird getrennt und Männer und Frauen begeben sich in ihre jeweiligen Gruppenräume. Da sitz ich nun mit meinen Konkurrenten, den Mitbewerbern um die Gunst der Frauen. Ich schau mich um, weiche Blicken aus, studiere meine Fingernägel, als hätte ich sie gerade neu entdeckt. „Da sitzt Du nun mit den Männern, mit denen zusammen Du durch dieses Wochenende gehen wirst. Schau Dich gut um. Wie fühlt sich das an?“ sagt Christoph. Wir sagen unsere Namen und lauschen bewußt auf den Klang und auf das, was sich in der Stille danach offenbart. Es ist erstaunlich wie schnell und scheinbar leicht es Christoph und seinen Assistenten gelingt die Stimmung zu wandeln. Die angestaute Spannung platzt. Das Bedürfnis sich mitzuteilen ist offenbar bei allen Männern groß. In einer mir ungewohnten Vertrautheit und Offenheit reden die Männer über ihre Erwartungen, Hoffnungen und Ängste. Und siehe da, ich bin nicht allein. Vieles kenne ich von mir, anderes überrascht mich. Wir rücken dichter zusammen. Wir reden über Freundschaft und Konkurrenz, über unsere Angst zu versagen, abgelehnt zu werden, oder, noch schlimmer über unsere Panik angenommen, vereinnahmt zu werden. Auch über Frauen reden wir, über die Frauen aus unseren Leben und über die Frauen hier. Und siehe da, die Blonde und die Glutäugige stehen bei den meisten Männern auf den ersten Plätzen. Das Kampffeld scheint abgesteckt.
Doch an diesem Wochenende wird vieles anders laufen als gewohnt. „Stell Dir vor Du bist an diesem Wochenende ein Vertreter der Männlichkeit. Und stellvertretend für alle Männer begegnest Du den Frauen als Vertreterinnen der Weiblichkeit. Urteile nicht, versuche allen Frauen mit offenem Herzen liebevoll zu begegnen. Du sollst allerdings nichts tun, was Du nicht willst. Es geht nicht darum Dich anzudienern. Sei Dir bewußt, so wie Du bist, bist Du ein Angebot. Ein Angebot der Männlichkeit an die Weiblichkeit im ganzen.“ Aber was ist das: Männlichkeit.
Ehe wir auch dieses Thema bereden können ist die Zeit vergangen. Wir umarmen uns lange. „Paßt gut auf Euch auf an diesem Wochenende, achtet aufeinander, haltet zusammen, unterstützt Euch. Wenn Du etwas brauchst, wende Dich an Deine Mitmänner.“ Der enge Körperkontakt unter Männern ist mir immer noch ungewohnt. Aber es tut gut. Jeder fühlt sich anders an. Der Körper meines Gegenübers zittert leicht vor Aufregung. Plötzlich fühle ich mich wie ein liebevoller Vater. Ich spüre ich kann etwas von der Liebe geben, die ich von meinem Vater so gerne bekommen hätte. Fasziniert beobachte ich wie sich der Mann in meinen Armen entspannt, sein Atem wird, gemeinsam mit meinem, kraftvoller und ruhiger. In anderen Armen wieder fühl ich mich wie ein kleiner Junge, geborgen und geschützt. Es kann so schön unter Männern sein. Aber dies ist „top-secret“ eine Frauengruppe. Und so begegnen wir in dieser Nacht zum erstenmal „offiziell“ den Frauen. Ich bin überrascht, daß uns nicht nur neugierige Erwartung, sondern auch Argwohn, Zurückhaltung, ja Ängstlichkeit und Ablehnung entgegen schlägt. Einem der Männer steht die Enttäuschung ins Gesicht geschrieben. Ich lege ihm den Arm um die Schulter. Dankbar umarmt er mich und lacht. Ich bin stolz auf uns.
Im Ausklang der Nacht wird noch geredet, geflirtet, getrunken, gelacht. Immer wieder treffen mich aufmunternde, freundschaftliche Blicke der Männer, die ich dankbar erwidere. Letztendlich lande ich, wie (fast??) alle Männer, wieder in unseren Schlafräumen. Ich bin froh wieder in Männerland zu sein und entspanne.
Der frühe Morgen erwartet uns turbulent. Zusammen mit den Frauen gehen wir Männer durch ein rasendes Karussell menschlicher Gefühlszustände. Wir schreien, toben, lachen, lieben, weinen. Wir begegnen uns als Götter, als Dämonen, Freunde, Feinde, Lüstlinge und Heilige. Die Struktur ist dynamisch und straff, das Team hat alle Hände voll zu tun. Danach ist es als wäre ein Schleier weggezogen worden. Ich sehe erschöpfte aber klare und lebendige Gesichter. Mittagessen.
Und dann wieder eine Runde unter Männern. Ich freu mich auf das Zusammensein mit meinen Geschlechtsgenossen. Aber nicht alles ist Friede-Freude-Eierkuchen. Viele sind vom bisherigen Verlauf tief berührt. Bei manchen sind alte Verletzungen aufgebrochen, andere sprühen vor Neid und Konkurrenz. Wir reden viel, das weckt Verständnis für andere und für mich selbst. Wir tanzen, und lassen unseren Gefühlen im körperlichen Ausdruck freien Lauf. Das tut gut. Wir sind laut und kraftvoll, entdecken aber auch die heilende Kraft der körperlichen Berührung in einer brüderlichen Männerrunde.
Nichts wird unter den Teppich gekehrt und trotzdem oder vielleicht gerade deswegen fühlen wir eine starke männliche Verbundenheit. Mit dieser Verbundenheit gehen wir in den Abend. Es wäre schade hier Ablauf und Details zu verraten. Coco und Christoph spielen, immer wieder neu, mit Aufregung, Spannung, Entspannung, Spaß und Lebensfreude. Und sie machen es gut, liebevoll und aufmerksam. Für mich war es die Verbundenheit mit den Männern, die mir in dieser Nacht die Kraft und den Mut gegeben hat über mich hinaus zugehen ohne mich zu verlieren.
Ich bin neue Risiken eingegangen, habe Grenzen überschritten und Grenzen gesetzt. Ich habe Zurückweisung und Zuneigung erfahren. Ich habe viel gegeben und im gleichen Atemzug soviel bekommen. Ich habe in mir eine Kraft gespürt die mir erlaubt hat mich als Mann zu zeigen, zu öffnen, zu fühlen, zu geben und zu nehmen. Und ich habe die unterstützende Kraft der anderen Männern gespürt. Nicht nur die meiner 11 Weggefährten, sondern es war, als würden Generationen von Männern hinter mir stehen, mir den Rücken stärken und sich darüber freuen, daß ich den Mann lebe, der ich bin. Und noch was: die Blonde. Ich sah sie in dieser Nacht in einer innigen Umarmung mit einem anderen Mann. Sonst hätte mir das einen tiefen Stich versetzt. Diesmal dachte ich seltsamerweise nur: “ Super, einem von uns geht es gut.“
Am Sonntag keine Katerstimmung. Da sitz ich nun in der Männerrunde und habe das Gefühl unter Freunden zu sein. Wir erzählen, lachen und weinen viel. Es sind Tränen des Berührtseins und der Freude. Freude etwas gefunden zu haben, was wir schon lange vermißt und gesucht haben. Ehrliche und tiefe Freundschaft unter Männern. Und die Frauen? Sie waren grandios. In dieser Nacht sah ich sie alle als Königinnen, und ich durfte ihnen als König begegnen.
In der gemeinsamen Abschlußrunde habe ich viel Dankbarkeit und liebevolle Rückmeldung ernten können. Bestimmt sehe ich die eine oder die andere wieder, und vielleicht, wer weiß….eine Männergruppe der ganz anderen Art“, das ist ein guter Tip für gut Freunde. Ich will nicht weg, will dableiben. Der Abschied fällt schwer. Ich habe Freundschaften geschlossen, von denen manche weitergehen werden. Ich habe viel gelernt über Frauen, mehr gelernt über Männer, und noch mehr über mich selbst erfahren. Jede/r trägt ihre/seine Geschichte mit sich.
Wir können uns in Liebe begegnen. Aber das tiefe Verstehen, die Verbundenheit und Freundschaft, die ich unter Männern erfahren habe, ist mir, als Mann, lebensnotwendige Nahrung und Stütze geworden, auf die ich nie mehr verzichten will.